Ego-State-Therapie
In der Ego-State-Therapie (lateinisch ego ‚ich‘, englisch state ‚Zustand‘, in den 1970er Jahren von John G. Watkins und Helen H. Watkins entwickelt, wichtige Vertreter heute sind Woltemade Hartman, Jochen Peichl, Kai Fritzsche) wird davon ausgegangen, dass die Persönlichkeit des Menschen aus unterschiedlichen Ich-Zuständen besteht, die im Laufe des Lebens entstanden sind, um Entwicklungsanforderungen zu bewältigen. Auch aus den modernen Neurowissenschaften und aus der Erforschung von psychischen Folgen traumatischer Erfahrungen wissen wir heute, dass unser „Ich“ nicht einheitlich, homogen und gleichförmig ist, sondern jeder Mensch über verschiedene „Seiten“ bzw. Ich-Anteile verfügt: Lebensgeschichtlich geprägte Erlebnisnetzwerke werden je nach „Umweltbedingung“ aus dem Gedächtnis reaktiviert und repräsentieren jeweils unterschiedliche Bedürfnisse, Emotionen, Verhaltensmuster und körperliche Funktionslagen.
Im Allgemeinen ermöglichen es uns Ego-States, in verschiedenen Situationen und mit unterschiedlichen Menschen angemessen zu interagieren. Ego-States können auch durch traumatische Erfahrungen, (sexualisierte) Gewalt oder andere psychische Belastungen entstehen und dienen dann oft als Schutzmechanismen, um unerträgliche Emotionen, Erinnerungen oder Erfahrungen vom Bewusstsein fern zu halten oder zu regulieren. Einige Ego-States können dabei positive Funktionen haben, indem sie beispielsweise Kreativität, Intuition oder soziale Kompetenzen stärken, während andere Ego-States zu Problemen wie psychosomatischen Symptomen oder Beziehungsschwierigkeiten beitragen können. Meist entstehen diese Schwierigkeiten dadurch, dass bestimmte Emotionen, Erlebens- und Verhaltensmuster im zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung des Ego-States ursprünglich sinnvoll und für das Überleben notwendig waren – in der Gegenwart aber nicht mehr passend und hilfreich (=parafunktional) sind und die Weiterentwicklung des Gesamtsystems erschweren.
In der Therapie können Ich-Anteile durch bestimmte Techniken wie Hypnose, Imagination oder körperorientierte Übungen angesprochen werden. Ziel ist es, mehr Bewusstsein und Steuerung sowie eine bessere Kooperation und Kommunikation im Umgang mit den eigenen Anteilen zu erreichen. So werden hilfreiche Veränderungen im Verhalten, Denken und Fühlen, im Körpererleben oder der Beziehungsregulation möglich.